Reife Männlichkeit – Männer vereinigt Euch!

Uns Männer fehlt das Vertrauen zu den Männern, da wir in der Zeit, in der wir am verletzlichsten waren, keinen Mann hatten, auf den wir uns wirklich und uneingeschränkt verlassen konnten. Uns haben die Väter gefehlt, die vertrauenswürdigen, mutigen, zärtlichen, liebe- und verständnisvollen Vorbilder. Unsere Väter waren selbst geprägt von Generationen, die durch Kriege, Gewalt oder Vernachlässigung tief verletzt wurden. Uns Männern fehlt vielleicht auch das Vertrauen zu den Frauen, da wir in der Zeit, in der wir am verletzlichsten waren, eine Mutter hatten, die selbst schlechte Erfahrungen mit Männern machen musste und so dem männlichen Potenzial in uns keine Chance geben konnte. Durch eine oft unterbewusste und subtile Kritik der verletzten Frau am heranwachsenden Jungen, wurde der kleine Funke Männlichkeit in uns bereits früh unterdrückt. So hatten manche von uns als Söhne das Gefühl, so wie ich bin, bin ich zu viel, zu laut, zu schnell, zu wütend. So wurden wir von unseren Vätern verlassen und von unseren Müttern überwältigt. In beiden Fällen ging eine adäquate Verbindung zu einer tiefen und instinktiven maskulinen Energie verloren, die in jedem Mann angelegt ist und die, wenn sie sich entfalten darf, in einer ruhigen und reifen Männlichkeit mündet.

Was uns Männern aber darüber hinaus noch gefehlt hat, und das ist in unseren westlichen Gesellschaften gleichsam abhandengekommen, sind die fehlenden rituellen Initiationsprozesse, wie sie in südamerikanischen oder afrikanischen Stammeskulturen bis heute zu finden sind. Diese sinnstiftenden und transformativen Übergänge von einer Lebensphase in die nächste sind über Generationen ausgestaltete Rituale, um junge Männer beim Wandel in das Mann-Sein zu unterstützen. Sie bieten einen zeremoniellen und sicheren Rahmen dafür, dass wir ein Gefühl von Männlichkeit entwickeln können. Bei uns ist nicht mehr viel übrig geblieben von Traditionen, die imstande wären, junge Männer in ihre Männlichkeit zu entlassen. Wir müssen selbst dafür sorgen und uns dabei unterstützen, dass wir wieder an diese tiefe Quelle unserer maskulinen Kraft herankommen. Wir müssen einen Weg finden, wie wir wieder eine tragende Verbindung zu dem Kern herstellen, der uns ausmacht. In sämtliche Kulturen, bis zum Anbeginn der Zeit, tauchen Geschichten auf, die beschreiben wie ein Individuum einem höheren Ruf folgt und zu einer Reise aufbricht, die viele Prüfungen und Herausforderungen birgt. Diese Reise beinhaltet Tod und Wiedergeburt.

Bevor wir aber wiedergeboren werden können, müssen wir die Schwelle überschreiten, die den unreifen vom reifen Mann trennt. Dieser Übergang wird von den Persönlichkeitsanteilen bewacht, die uns lähmen und sabotieren. Eine Reise wie diese, mutig, ausgerichtet und kraftvoll gegangen, symbolisiert die Rückkehr zu uns selbst, indem wir die dunkle Seite in uns konfrontieren und so letztendlich den Weg frei geben wird für die heldenhafte Wiedervereinigung mit unserer Essenz als Mann, Vater und Liebhaber – gestärkt, geheilt und verwandelt. So wie Prinz Siddharta sich berufen fühlte seinen Palast zu verlassen, um sich auf die Suche nach seiner Herzenswahrheit zu begeben und um zu fragen: „Das Leben kann noch mehr bieten als das, was ich lebe. Was ist es und wer bin ich?“

Ja, unsere Eltern und andere äußere Umstände trugen einen wesentlichen Teil zu unserer Entwicklung bei. Das ist eine Tatsache aber gleichzeitig auch Vergangenheit. Was passiert ist und uns heute noch beeinflusst mag ein Relikt aus alten Zeiten sein, es spricht uns aber nicht von der Verantwortung frei Verantwortung für das zu übernehmen, was uns heute davon abhält ein Leben in Freiheit und Kreativität zu leben. Wir sind nicht mehr das Opfer unserer frühen Wunden, das wir vielleicht einmal waren, als wir noch keine Wahl hatten. Sondern wir sind gefordert der Architekt unserer Realität zu werden. Heute ist es an uns Männern selbst, uns die männlichen Attribute und Qualitäten zurückzuholen, die das Gleichgewicht in unseren Beziehungen, in unseren Ökosystemen und nicht zuletzt in unseren Herzen wieder herstellt.

Das können wir tun, indem wir wieder mit unserer Verletzlichkeit in Berührung kommen, lernen uns auf unsere Intuition und unser Gefühl zu verlassen und begreifen, dass die Liebe und die Verbindung zu uns und anderen Menschen wichtiger ist als Konkurrenz, Macht oder Besitz. In der heutigen Krise, in der die maskuline Seite der Gleichung immer noch ihren adäquaten Platz sucht, braucht es nicht weniger maskuline Kraft sondern ein Mehr an erwachsener Männlichkeit. Es braucht heute Männer, die in Kontakt mit ihrer femininen UND ihrer maskulinen Energie sind und mutig genug sind diese zu spüren.

Bevor wir aber wieder in die Nähe unserer authentischen Urkraft kommen können, um sie zu erforschen und später zu zelebrieren, müssen wir uns unseren Schutzmechanismen gegenüberstellen, die wir uns über viele Jahre aufgebaut haben und die uns davon abhalten echte Männlichkeit zu erleben. Diese Schichten wahrzunehmen, die sich durch Aggression, Angst, Rückzug oder andere Muster bemerkbar machen, heißt nicht, dass wir sie aus- oder ein-agieren, sondern dass wir ihnen Raum in uns geben, damit wir entweder durch sie hindurch mit tieferen Schichten unserer Persönlichkeit in Berührung kommen können oder indem wir dafür sorgen, dass sie angemessenen zum Ausdruck kommen – durch Bewegung, Tanz, geregeltes Kämpfen, geführte Grenzerfahrungen oder einfach nur ein lautes Brüllen im Wald. Diese neue Beziehung zu und die andauernde Auseinandersetzung mit uns selbst macht uns letztendlich zu ausgeglicheneren, präsenteren und glücklicheren Männern, weil wir durch diese Konfrontation mehr Weite und Kapazität in uns schaffen, auch schwierige Situationen zu meistern. Wir fangen an nicht mehr nur mechanisch zu reagieren sondern beginnen bewusst und besonnen zu agieren.

So wird jeder in seinem individuellen Tempo, Schritt für Schritt, hinter seine Mauern schauen können und seine männlichen Potenziale wieder erleben, indem er erkennen und anerkennen kann wer er ist und was ihn ausmacht. Er wird lernen seiner Größe zu vertrauen und sie in die Welt bringen. Nicht nur für sein eigenes Wohlbefinden, sondern weil diese globale Krise, die unsere natürliche Existenzgrundlage bedroht, insbesondere durch die Abwesenheit von reifen Männer hervorgerufen wird.

Denn was wir heute vielerorts erleben ist die Manifestation einer unreifen, unreflektierten und schädlichen maskulinen Energie, die giert, missbraucht, unterdrückt und ausgrenzt. In einer Welt, in der diese Attribute die Oberhand übernehmen braucht es Männer, die tief in der Erde wurzeln, die als Fels in der Brandung mit ihrem Herzen verbunden sind und gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen.

Es braucht Männer, die Frieden in der Welt schaffen! Deshalb rufe ich alle Männer dieser Welt auf, verbindet und vereinigt Euch und geht den Weg zusammen. Beginnt die Reise nach innen und hört auf wegzuschauen! Beginnt Eure Verletzlichkeit in Euer Leben einzuladen. Übernehmt Verantwortung für Euren Schatten indem Ihr ihn sucht und ihm begegnet, ihn herausfordert und, wie es Siegfried der Drachentöter vor euch getan hat – bezwingt ihn. Seid Krieger, die sich dem Abgrund stellen und sterbt den Tod Eurer limitierenden Gewohnheiten, damit Ihr für das Echte, Kraftvolle, Liebende wiedergeboren werden könnt. Hört auf zu fragen woher die Wut in Euch kommt, sondern schaut hin welche Türen sie Euch öffnen möchte. Hört nicht auf zu hinterfragen weshalb es keinen Frieden in Euch gibt. Schickt den Mut vor, wenn die Angst anklopft!

Sucht Euch Rituale und Ritualplätze, sucht Euch Männer, die den steinigen und manchmal schmerzhaften Weg zu sich selbst bereits gegangen sind und lasst Euch von ihnen begleiten. Fangt an Euch und Eure Frauen zu lieben. Begebt Euch in die Berge, in die Wüsten, in die Wälder, um Eure Vision zu suchen. Meditiert. Labt Euch an den Elementen, um endlich das Leben zu spüren. Lasst Euch durch Gebete und Tänze inspirieren und entfacht das ewige Feuer in Euch. Dankt dem Schöpfer, dem Großen Geist, für all diese großen und kleinen Wunder, die Euch umgeben und begegnen – jeden Tag.

Männer dieser Welt vereinigt Euch!

Über den Autor
  • Carsten Essig

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