Männerherzen in Corona-Zeiten

Jahr für Jahr berichten die Medien über die konfliktreiche Urlaubszeit – die Zeit, in der sich die hohen Erwartungen an die Zeit zu zweit mit der Beziehungsrealität matchen. Besonders spannungsreich ist auch die Zeit rund um Weihnachten.

Die Telefone der Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren schrillen jetzt besonders häufig. Es sind Zeiten, in denen der Mann eigentlich zur Ruhe kommen soll. Doch genau jetzt zuckt er aus. Die Corona-Krise zwingt viele Männer in ihrer Beziehung oder als Familie eng zusammen, schafft eine Situation mit geringen Ausweichmöglichkeiten und Zeit im Überfluss. Bei aller Herausforderung: Eine große Chance für die Beziehung. Denn im Gegensatz zur Weihnachts- oder Urlaubszeit gibt es vorweg wenige Erwartungen an die große Eintracht in dieser außergewöhnlichen Zeit. Auch die Medien anerkennen, dass es für uns alle schwierig werden kann, sich vom Umfeld distanzieren und sich gleichzeitig in der eigenen Familie so nahe sein zu müssen. Und doch kommt es auch jetzt zu Übergriffen. Beziehungsgewalt als Thema ist präsent, Frauenhäuser warnen vor der Corona-Enge, Männerberatungen erarbeiten Survival-Kits für Männer. Und bei allem gesellschaftlichen Stillstand wird betont, dass familiäre Gewaltweiterhin gerichtlich geahndet wird. Ja, Gewalt in Beziehungen ist vor allem ein Männerthema, und wenn man den Grad der Hilflosigkeit des Opfers als Messlatte nimmt: ein reines Männerthema. Die meisten Männer tun so, als ob sie das nichts anginge. Schließlich, so ihre Meinung, schlagen sie nicht zu. Doch was, wenn wir Männer trotzdem nicht wegschauen, sondern die Spitze dieses Eisbergs genauer betrachten? Wenn wir von denen, die rausschauen und damit das mediale Geschehen und wie wir Männer wahrgenommen werden prägen, eine Menge für uns und unsere Beziehung lernen könnten? Wenn wir Muster erkennen können, die wir alle in uns haben, die sich nicht auf ein paar „Monster“ beschränken lassen, sondern viel mit unserem Mann Sein an sich zu tun haben? Wie könnte also neue Männlichkeit diesbezüglich ausschauen? Der ruhige Nachbar, dem niemand eine grausame Tat zugetraut hätte, ragt aus dem Wasser. Der schweigsame Schüler, der sich schon lange in seine eigene, einsame Welt zurückgezogen hatte und schlagartig ein Massaker anrichtet. Der arbeitswütige Familienvater, dem alles zu viel wurde. Der Eifersüchtige mit Besitzanspruch, der den Trennungsschmerz nicht verschmerzen kann. Und aktuell: der Mann, der die Corona-Enge nicht mehr ausgehalten hat. Weniger präsent und wohl ganz unten im Bild sind jene, die, statt andere zu töten, die Gewalt gegen sich selbst richten. Männer sind hier dreimal gefährdeter und richten damit auch viel Schaden für ihr soziales Umfeld an. Also: Was kann jeder Mann für seine Beziehung von diesen Fällen ableiten? Was ist zu tun, wenn es eng wird? Wir Männer müssen lernen, Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit, wie sie sich besonders in Liebesbeziehungen bei uns allen immer wieder einstellen, anders zu bewerten. Wir müssen lernen, anders mit ihnen umzugehen als uns zurückzuziehen, zu schweigen, auszuhalten, davonzulaufen, sie dauerhaft runterzuschlucken und damit völlig an Lebendigkeit einzubüßen. Auch, sich unserer Gefühle ab und an in einem heftigen Schwall zu entledigen, ist keine gesunde Strategie.„Selfness-Aspekte“ liefern Ansatzpunkte, wie wir Männer in dieser speziellen Situation unsere Beziehungen vertiefen können. Selfness meint mehr Eigenkompetenz zu erlangen, zu lernen sich um sein eigenes Wohlbefinden zu kümmern, das nicht an andere – insbesondere an Frauen – auszulagern. Selbstverantwortung ist als Begriff allen Männern heute klar – außer, wenn es in der Beziehung eng wird: Dann soll die Frau etwas ändern, nicht so hysterisch werden, nicht zickig sein. Denn schließlich macht doch sie alles falsch oder liefert einfach zu wenig! Dass die Frauen sich kümmern und bemühen müssen, hat sich über Jahrhunderte hinweg zutiefst in beide Geschlechter eingepflanzt. Es wird Zeit, dass wir Männer selbst für unsere Beziehung Verantwortung übernehmen und das geben – der Frau, aber ganz besonders auch uns selbst –, was wir uns vom Gegenüber wünschen. Doch Selbstverantwortung für seine Gefühle und Bedürfnisse übernehmen kann nur, wer sich selbst gut spürt. Insofern geht es erstmal darum, unsere Selbstwahrnehmung zu erhöhen. Wie geht es mir gerade wirklich? Was spielt sich da in mir ab? Spätestens jetzt brauchen auch wir scheinbar so selbstbewussten Männer eine hohe Selbstakzeptanz, denn ja: Ein richtiger Mann darf all diese Gefühle haben, die gerade hochgekommen. Nicht die Partnerin soll uns muttergleich trösten, versorgen oder bestätigen. Wir selbst müssen all das lernen, damit wir eine gute Beziehung führen können. Das ermöglicht uns eine neue Form von Macht über uns selbst. Wenn wir lernen, ohne Erwartungen an die Frau zu leben und uns gut um uns selbst zu kümmern, steigt auch unsere Selbstwirksamkeit. Wir erkennen, wozu wir fähig sind, ohne gleichzeitig auf die Anerkennung von Frauen zu schielen, während wir uns abrackern. Wenn die Bestätigung dann doch kommt, können wir sie annehmen und uns freuen: Weil wir wissen, dass wir etwas Echtes geschafft haben, das tief aus uns selbst kommt, etwas, das nicht von vornherein nur auf die Reaktion der geliebten Frau gerichtet war. Wir dürfen anerkennen, wo unsere Partnerin als Spiegel fungiert und uns in unser Herz blicken lässt; in unser Herz, das irgendwann und in irgendeiner Form verletzt wurde. Niemand wird ohne Verletzungen groß. Eine tiefgehende Beziehung ist der perfekte Marker dieser Themen. Sie ist eine große Chance, heilsam zu wirken, aber nur, wenn wir Männer uns selbst unter die Lupe nehmen – und nicht bei den Eisbergspitzen der Frauen hängen bleiben, die bisweilen ebenso bizarr herausragen, während sie in die Schlacht ziehen und uns Männern für alles die Schuld zuweisen. Die Corona-Krise schafft neben der sozialen Distanzierung eine bisweilen schwer aushaltbare Nähe in der Partnerschaft. Jenen Männern, die mehr hinhören als wegdrücken, die sich selbst ernst nehmen, gut mit sich umgehen und Zuneigung nicht zuerst von der Partnerin erwarten, bieten sich neue Möglichkeiten. Nackt voreinander zu stehen ist nicht immer erotisch, schafft aber Nähe bei jenen, die so sein dürfen, wie sie eben gerade sind. Wenn uns Frauen jetzt verletzen, heißt Selbstverantwortung für uns Männer, für uns selbst einzutreten. Ein sich selbst achtendes „Stopp, das verletzt mich“ kann ungemein wirken. Es braucht weder einen verbalen Gegenschlag und schon gar keinen Totschlag oder einen flüchtenden Selbstmord. Ein respektvoller Satz vermittelt liebevolle Stärke und kann eine Beziehung neu aufleben lassen. Männer können sich also selbst befragen, wie es in ihnen gerade ausschaut und überlegen, wie sie ihre Gefühle weder verschweigen noch mit wütender Hilflosigkeit von sich wegdrücken müssen. Sie können sich fragen: Was ist meine innere, tief sitzende Wahrheit? Was hindert mich daran, sie anzusprechen? Welche Gefühle und Bedürfnisse verheimliche ich meiner Partnerin? Und wie wirkt sich das auf uns beide aus? Es leben die Corona-Beziehungschancen! Mögen wir Männer viele davon in unseren neuen Alltag nach Corona mitnehmen.

Über den Autor
  • Dr. Richard Schneebauer
    Schneebauer Dr. Richard

    Dr. Richard Schneebauer ist Soziologe und begleitet Männer in ihrem Wunsch nach einem bewussten Umgang mit dem eigenen Leben und lebendigen Beziehungen. Er ist seit vielen Jahren in der Männerberatung tätig, Autor, Trainer, Dozent und Vortragender. ​Mit seinen Büchern MÄNNERABEND: Warum Männer einen Mann zum Reden brauchen und MÄNNERHERZ: Was Männer bewegt. Freiheit, Beziehung, Selbstbestimmung​ will er einen Beitrag leisten zu einem klaren, starken Männerbild und der Frage, wie eine ausgeglichene Beziehung zwischen Mann und Frau gelingen kann.

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