Was Robert Bly meinte und was er uns für heute mitgab
Robert Bly, der grosse amerikanische Poet, ist gestorben, 94jährig. Mit seinen Gedichten hat er die amerikanische Lyrik wesentlich geprägt. Sein Band The Light Around the Body gewann 1968 den National Book Award; 2002 errang Bly den Maurice English Poetry Award. In unseren Breitengraden ist Bly vor allem mit seiner Interpretation des Grimmschen Märchens vom „Eisenhans“ (Iron John. A Book about Men) bekannt geworden. Typisch dafür der „Spiegel“: „Autor des »Eisenhans« ist tot“. Und: „In seinem erfolgreichsten Werk forderte er die Rückkehr zur wahren Männlichkeit.“ Tatsächlich ging es Bly um eine ausgewogene Antwort auf einen Zeitgeist, der die „neue Weiblichkeit“ feierte und analog dazu Männlichkeit verdammte. Männliche Kraft verstand Bly niemals als Macht oder gar Verfügungsgewalt über andere. Das lehnte er strikt ab. Sein Buch war jahrelang ein Bestseller, hat weltweit die Männertherapie stark beeinflusst und war Anregung für unzählige Männergruppen.
Eine Grundeinsicht von Bly: Der abrupte Abschied von der traditionellen Männlichkeit und die damit verbundene Konfession zu einem weichen Mann hatte sich nicht als Patentrezept erwiesen. „Viele dieser Männer sind unglücklich“, bemerkte Bly. „Es ist wenig Kraft in ihnen.“ Sie strahlten keine Energie mehr aus, und es scheint so, als hätten sie auch keine mehr. Diese „neuen“ Männer „sind lebenserhaltend, aber irgendwie nicht mehr lebensspendend“. Jetzt hätten wir den fein gestimmten Mann, der seinem Vater ökologisch bei weitem „überlegen ist, der sich um die Harmonie des Universums sorgt, aber er verfügt über keine Energie mehr, die er anzubieten hätte“. Diese Männer hätten die Beziehung zu sich selber aufgegeben, würden nur noch auf die Frauen zu schauen und nähmen diese als die durchgängig wertvolleren Menschen wahr. Gleichzeitig verleugneten sie alles, was einst der Männlichkeit zugeschrieben war. Volker Elis Pilgrim, eine Gallionsfigur der deutschen Männerbewegung, dekretierte zu dieser Zeit mit bemerkenswertem Masochismus: „Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot“. Viele Männer wollten die besseren Frauen werden, wie es beispielsweise Wilfried Wieck in den späten 80er Jahren in seinem Bestseller „Männer lassen lieben“ gefordert hatte. So entstand der weiche Mann („soft male“), kurz auch „Softie“ genannt. Bly kommentiert: „Es ist wunderbar zu sehen, wie diese Männer ihr eigenes feminines Bewusstsein willkommen heissen und es pflegen. Das ist ganz wichtig, und doch spüre ich, dass darin auch etwas Falsches enthalten ist. Der Mann ist in den vergangenen zwanzig Jahren nachdenklicher, besorgter und rücksichtsvoller geworden. Aber diese Entwicklung hat ihn nicht frei gemacht. Er ist nun ein netter Junge, der nicht nur seiner Mutter gefällt, sondern zunächst auch der jungen Frau, mit der er zusammenlebt. Doch es fehlt ihm an Kraft und Ausstrahlung.“
Robert Bly war auch einer der ersten, der – in feminismusgeprägten Zeiten – auf die Bedeutung des Vaters im Prozess der Mannwerdung aufmerksam gemacht hat. Ein Sohn brauche seinen Vater, damit er sinnvoll Mann werden kann. Ohne Vater tritt er in ein Leben, für das er nur unzureichend ausgestattet ist. Er weiss dann nur über Surrogate wie ein Mann ist, arbeitet und liebt. Ein Junge benötige die Gewissheit, einen kompetenten Vater zu haben, um selber das nötige Vertrauen in seine Zukunft als Mann entwickeln zu können.
Der berühmte amerikanische Psychotherapeut James Hillman – Jungianer wie auch Bly – lieferte die empirischen Belege, indem er anhand seiner Patienten den Energieverlust der „neuen“ Männer beschrieb: Kraftlosigkeit ihrer Beine, Schluckbeschwerden, Kau- und Beisshemmungen; belegte Stimme; sie benannten Probleme mit Luftholen und Ausatmen; ihr Lebensgefühl war generell beeinträchtigt, und sie litten an Erektionsproblemen und Impotenz. Summa summarum zeigten sie sich extrem verunsichert „in ihrer eigenen Männlichkeit“. Viele Psychiater und Psychotherapeuten bestätigten diese Befunde Hillmans in den folgenden Jahren.
„In den 60er Jahren – so Bly – wurde uns Männern gesagt, dass der goldene Ball in unserer Weiblichkeit ist, in der Rezeptivität, in der Kooperation, in der Nicht-Aggressivität. Einige entdeckten diese weiblichen Seiten, aber nicht den goldenen Ball.“. Das Märchen lehrt eben, dass der „goldene Ball“ in den Käfig des „Wilden Mannes“, gerollt ist. Mit ihm muss sich der kleine Königssohn – stellvertretend für alle Männer – auseinandersetzen, um selber und in eigener Verantwortung zum Mann zu werden.
Geschlechtsübergreifend hat Robert Bly diese Thematik in den späten neunziger Jahren noch einmal aufgenommen und unserer Gesellschaft in toto Unreife vorgeworfen und die Weigerung, erwachsen werden zu wollen (The Sibling Society).
Sein Werk und sein Vermächtnis vom selbstbewussten, kräftigen Mann gewinnt neue Aktualität durch die russische Aggression. Zum ersten Mal seit 1945 gibt es im seither befriedeten Europa wieder einen grossen Krieg. Mit seinem Angriff gegen die Ukraine will Putin das europäische Gleichgewicht zerstören. Doch zerstört wird auch anderes: Perspektiven, Wertvorstellungen und bisherige Sicherheiten. Frieden war für junge Menschen hierzulande eine Selbstverständlichkeit – bis jetzt. Dazu gehörte auch die „Abrüstung“ der traditionellen Männlichkeit mit ihrem Set von Härte, Pokerface und Konkurrenz in den siebziger Jahren. Stattdessen war eine neue „soft maleness“ angesagt – Empathie, Fürsorge und Gewaltlosigkeit. In einem prototypischen Dokument jener Zeit, dem Aufsatz von Claudio Hofmann „Über das Unglück, kein Feminist zu sein“ artikuliert der Autor seine „Hoffnung, dass die Frauenbewegung endlich die Schreckenswelt der Männerherrschaft mit Krieg, Gewalt und Verwüstung auflösen könnte in ein sanftes paradiesisches Zeitalter”.
Entgegen aller Realität sind solche Bilder und Illusionen in den vergangenen Jahren vorherrschend geworden. Nun werden sie in einem veränderten Europa übel widerlegt.
Angesichts der Grausamkeit von Putins Überfall auf die Ukraine gibt es eine ganz andere Optik. Der Krieg in der Ukraine sei vor allem für Deutschland ein „hartes Erwachen“ so die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Zur Wehrfähigkeit gehöre, auch die eigenen Werte zu verteidigen. Aber wo soll die Wehrhaftigkeit herkommen, wenn ihre ethischen und sozialisatorischen Grundlagen einigermassen leichtfertig abgeschafft wurden? Wesentliche Qualitäten der traditionellen Männlichkeit wie Virilität, Stärke, Führungsfähigkeit, Tatkraft, Verteidigungswille oder Risikobereitschaft sind aus den meisten Bereichen von Erziehung, Schule oder Bildungsarbeit verschwunden. Sie wurden einigermassen unreflektiert in den historischen Kontext von Patriarchat, Hegemonie und (Männer)Gewalt gestellt. Dass sie dort auch hingehören und viel Unheil angerichtet haben, ist unbestritten; gleichermassen haben sie aber auch Zivilisation aufgebaut, Gefahren gebannt und Fortschritt gesichert. Bekanntlich sollte man das Kind ja nicht mit dem Bade ausschütten, was in diesem Falle aber geschehen ist und weiterhin geschieht. Männlichkeit bedeutet – auch historisch abgeleitet – Wehrhaftigkeit – sicher nicht nur, aber eben auch. Über Jahrhunderte haben Männer in Europa Verantwortung für das Gemeinwesen – für alle Menschen – übernommen und für unsere Werte von Freiheit, Humanität und Frieden.
Es muss aber noch weitergedacht werden: Ein zureichendes Männerbild, an dem man sich orientieren und ausrichten kann, bietet Sicherheit und damit auch Zukunft. Ein in sich brüchiges oder gar zerbrochenes Männerbild – auch noch willentlich herbeigeführt – ist gleichbedeutend mit Zukunftslosigkeit und provoziert dann erst jene männlichen Exzesse, die man angeblich abschaffen will. Identität kann von ihren männlichen Trägern nur aufrechterhalten werden in der Gewissheit, dass es für sie auch eine sinnvolle Zukunft gibt. Dazu braucht es aber Wegweiser und Entwürfe, bei denen Jungen und Männer sich auch wiederfinden können.
Über den Autor:
Dr. Walter Hollstein beschäftigt sich seit mehr als vier Jahrzehnten mit Mannsein und Männlichkeit. Er gehört zu den Begründern der emanzipatorischen Männerbewegung und gilt als Doyen der Männerforschung im deutschsprachigen Raum. Bei Wikipedia heisst es: „Hollsteins frühe Arbeiten zur Männerforschung galten im deutschsprachigen Raum als grundlegend“. Prof. Holger Brandes sieht in Hollsteins Nicht Herrscher, aber kräftig von 1988 den eigentlichen Startpunkt der Männerforschung in Deutschland. Dag Schölper fasst die Bedeutung Hollsteins für die Männerforschung so zusammen: „Hollsteins Pionierleistung war eine doppelte. Zum einen machte er Fragestellungen der Frauenbewegung und der Männergruppen für sozialwissenschaftliche Diskussionen anschlussfähig. Zum andern fasste er den aktuellen Diskussionsstand der US-amerikanischen men’s studies zusammen und machte damit erstmals die amerikanischen Erkenntnisse einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugänglich, auf die fortan aufgebaut werden konnte.“
In seinem Buch „Was vom Manne übrig blieb“ kritisiert Hollstein die zunehmende Abwertung von Männlichkeit. Der Band erschien 2008 Im Berlinern Aufbau-Verlag und in einer erweiterten und überarbeiteten Fassung 2012 bei Opus Magnum in Stuttgart. In seinem Buch „Das Gären im Volksbauch“ beschreibt Hollstein 2020 die aktuelle Situation der Männer (Verlag NZZLibro). Hollstein leitete lange Männergruppen und Männerseminare.
Sitzung abgelaufen
Bitte melde dich erneut an. Die Anmelde-Seite wird sich in einem neuen Tab öffnen. Nach dem Anmelden kannst du das Tab schließen und zu dieser Seite zurückkehren.
Toller Artikel. Ich hatte an manchen Stellen Tränen in den Augen.
So schlimm Putin ist, so wertvoll kann seine Wirkung sein als Weckruf an (uns Männer), endlich einen guten Ort für uns zu finden. Ort im Sinne von innerer Haltung, Selbstbild, Schaffenskraft, Integrität, …
Ich als Mann möchte stark sein (nicht „hart“), meine Kernwerte zu verteidigen (Frieden, Freiheit, Dankbarkeit, Verbundenheit, Liebe). Zugleich möchte ich weich sein (nicht „schwach“). Das Starke in mir ist das Maskuline, das Weiche in mir ist das Feminine. Ein Spannungsfeld, das mal plagt, mal erfreut.
Auf eine Welt mit ganz vielen Menschen, die maskulin-selbstfürsorglich und feminin-sozialverträglich zugleich agieren …
Mein Wunsch an die Welt: Von der Angst zur Liebe, vom Ego zur Kooperation und vom Verstecken zur Verletzlichkeit …
LG
Philipp
PS: Ich habe den Eisenhans bei meiner Männer-Initiation bei mkp Deutschland (siehe Link unten) 2015 kennengelernt. Diese Wochend-Heldenreise kann ich jedem Mann empfehlen, der spürt, dass er mit der eigenen „Männer-Identität“ noch etwas hadert …
— Links aus diesem Kommentar wurden von der Redaktion entfernt. Siehe Posting-Richtlinien. —
Was die Situation der Männer betrifft, stimme ich Holstein völlig zu.
Genau so völlig daneben liegt er allerdings bei der Analyse der politischen Situation.
Er übernimmt unkritisch die multimediale Darstellung.
— Links aus diesem Kommentar wurden von der Redaktion entfernt. Siehe Posting-Richtlinien. —
Seit „Köln“ und vor allem seit „Putin“ äußern auch in Deutschland Politiker, Journalisten und Maskulinsten ihre Sehnsucht nach einem Männlichkeits-Ideal, das als das genaue Gegenteil eines „woken“, eines achtsamen, Mannes beschrieben wird. Nur so, sagen sie, bleibe Deutschland wehrhaft. Nur so, sagen sie, finde der Mann zu seinem wahren Kern wahrer Männlichkeit.
Blödsinn!
„Genauso wie die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen, in einer modernen Armee besser ist als dämliche Hypermaskulinität, bringen auch Vielfalt und gesellschaftliche Integration große Vorteile. Da die Ukraine vielfältiger und toleranter geworden ist, hat auch ihre Armee davon profitiert. Im Gegensatz zu Putins homophobem Militär gibt es in den ukrainischen Streitkräften LGBTQ-Soldaten, die „Einhorn“-Abzeichen in ihre Uniformen integriert haben. Die Tapferkeit dieser Soldaten und das Engagement der ukrainischen Bevölkerung für eine tolerante und vielfältige Gesellschaft haben dazu geführt, dass die ukrainische Unterstützung für die Rechte von Homosexuellen insgesamt zugenommen hat – und es unterstreicht die Überzeugung, dass jeder eine Rolle bei der Verteidigung des Landes spielen kann.
Die russischen Erfahrungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Putin hat die Unterdrückung der Rechte von Homosexuellen zu einem der Markenzeichen seiner Herrschaft gemacht. Entschlossen, aus den Kulturkriegstropen der amerikanischen Rechten Kapital zu schlagen, hat er Russland als Opfer der Auslöschungskultur dargestellt. Er hat die russische Gesellschaft fest im Griff. Während die Ukrainer sich öffnen, schottet er sich ab – mit ziemlich extremen Ergebnissen, wie wir jetzt sehen.
Letzte Woche rief Putin zu einer Teilmobilisierung auf, die offenbar viel umfassender ist als ursprünglich angekündigt. Angesichts der Aussicht, in seine Armee gezwungen zu werden, versuchen nun zahlreiche russische Männer verzweifelt, das Land zu verlassen, und es kam zu Protesten und sogar Sabotageakten gegen die Regierungsbehörden. Es ist zweifelhaft, ob die russischen Bürger den Dienst in Putins Armee generell als würdiges nationales Anliegen betrachten. Die Ukrainer hingegen haben zu Beginn der Invasion eine weitaus erfolgreichere Einberufung vorgenommen.
Die jüngsten Ereignisse sollten die Vorstellung verbannen, dass die aggressivere Tötungsmaschine den Krieg gewinnt. Auf dem modernen Schlachtfeld zählen vor allem Intelligenz, technologische Kompetenz und soziale Integration.“
— Links aus diesem Kommentar wurden von der Redaktion entfernt. Siehe Posting-Richtlinien. —
Ich sehe das etwas differenzierter. Ich sehe schon bei Teilen der männlichen Bevölkerung eine mangelnde Resilienz und Wehrhaftigkeit. Ich kann mir zum Beispiel jemanden nicht gut im Krieg vorstellen, der sich für einen vier monate alten Fuchs hält. Um mal Extreme zu nennen. Oder jemanden, der vom Safe Space zu Safe Space hüpft und schon vom „falschen“ Pronomen getriggert wird.
So freiwillig scheint die Rekrutierung auch nicht zu sein in der Ukraine bzw. die Begeisterung fürs Vaterland zu sterben:
— Links aus diesem Kommentar wurden von der Redaktion entfernt. Siehe Posting-Richtlinien. —
Oder die Begeisterung der Community für den Krieg:
— Links aus diesem Kommentar wurden von der Redaktion entfernt. Siehe Posting-Richtlinien. —
Mir persönlich fiel es beim diesjährigen CSD in Köln auf. Viele stolze Schwule und Lesben – aber eben Männer und Frauen – und dann der „Block“ meist junger „betweens“, irgendwie diffus, völlig ätherisch. Aller modernen Waffensysteme zu trotz, gegen eine konventionell starke Truppe hätte ich schon auch gerne insgesamt belastbare Männer.